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Mythen und Missverständnisse rund um das Mikrobiom (Mythen 1-3)

Abbildung von Darmflora Bakterien.

Die Wissenschaft liefert uns ständig neue Erkenntnisse zum Mikrobiom. Dabei klärt sich auch der eine oder andere wissenschaftliche Irrtum auf. Einige besonders hartnäckige Fälle haben es sogar in die renommierte Zeitschrift „Nature“ geschafft. Darunter auch der Mythos, dass eine erhöhte Firmicutes-Bacteroidetes-Ratio für Übergewicht verantwortlich sei.
Wir haben die spannendsten Mythen für Sie herausgesucht, hier die ersten drei:

Mythos 1: “Die Firmicutes-Bacteroidetes-Ratio ist bei Adipositas verändert“

Diese häufig genutzte, aber falsche Aussage stammt ursprünglich aus Studien mit Nagetieren sowie Humanstudien mit sehr kleinen Probandenzahlen. Wie wir schon länger wissen, sind die Ergebnisse nicht reproduzierbar. Inzwischen gibt es mindestens drei Meta-Analysen, die die hohe Inkonsistenz der Humanstudienergebnisse aufzeigen. 
Wahr ist: Es gibt zur Zeit keine reproduzierbare taxonomische Signatur für Adipositas im menschlichen Mikrobiom (Walker & Hoyles 2023).

Mythos 2: „Sequenz-basierte Mikrobiomanalysen auf große Bakteriengruppen wie Phyla sind sinnvoll“

Es gibt zur Zeit die wenig hilfreiche Tendenz, Mikrobiomanalysen auf Basis großer Bakteriengruppen wie der Phyla „Firmicutes“ und „Bacteroidetes“ durchzuführen und daraus Aussagen beispielsweise zu Übergewicht und Adipositas abzuleiten. Das ist wissenschaftlich überholt (siehe Mythos 1). Diese einfachen Analysen können die große Variabilität und Vielfalt innerhalb der Phyla nicht abbilden. Eine Analogie soll das verdeutlichen: Menschen, Vögel, Fische, Reptilien und sogar Seescheiden gehören alle zum Phylum „Chordata“, haben aber offensichtlich sehr verschiedene Physiologien, Lebensstile und Auswirkungen auf ihre Umwelt. Analog dazu ist eine Mikrobiomanalyse auf große Bakteriengruppen wie Phyla insbesondere für Patient:innen nicht sinnvoll (Walker & Hoyles 2023).

Mythos 3: „Das Reizdarmsyndrom ist eine funktionelle gastrointestinale Erkrankung“

Inzwischen sind die Erkenntnisse zur Ätiologie und Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms vorangeschritten. Der neue Oberbegriff für das Reizdarmsyndrom lautet nun „Neurogastroenterologische Störung der Darm-Gehirn-Interaktionen“ (Vasant et al. 2021). 
Pathologisch veränderte Mastzell-Populationen sind an der Störung beteiligt, weshalb Mastzellen aus wissenschaftlicher Sicht wichtige Einflussfaktoren des Reizdarmsyndroms sind (Jaspers E & A Hecht 2023, verfügbar nach vorherigem Fachkreis-Login]. Lesen Sie dazu mehr in diesem Artikel: Mastzellen und die Darm-Hirnachse: Mastzellen als Schlüsselfaktoren bei Reizdarmsyndrom“. 

Jaspers E & A Hecht. Scientific Insights #2: Das Reizdarmsyndrom – Aktuelle Erkenntnisse und die Mikrobiom-basierte Therapie. Scientific-Insights-Publikationsreihe der SymbioPharm GmbH 2023. 
https://www.symbiopharm.de/fileadmin/user_upload/Upload/Fach-Broschueren/ScientificInsights_02_Reizdarmsyndrom.pdf
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Vasant DH et al. British Society of Gastroenterology guidelines on the management of irritable bowel syndrome. Practice Guideline. Gut 2021;70:1214.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33903147/

Walker AW & L Hoyles. Human microbiome myths and misconceptions. Nature Microbiology 2023;8:1392.
https://www.nature.com/articles/s41564-023-01426-7

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